Hauptstraße (An Tagen ohne Feste)

Ein Lachen konnte sie gewiss nicht mehr unterdrücken und es sprang kalt über ihre Lippen. Ihr Blick war abfällig als sie ihn ansah, ehe sie ihn die Straße entlang wandern ließ. Es war schlichtweg ein Provinznest und sie war ein Edelstein unter all den Kieseln in diesem Kaff. "Du warst schon immer eingebildet gewesen, Cousin. Zu sehr nur auf dich fixiert." meinte sie spöttisch und schnalzte mit der Zunge, ehe sie sich schließlich nach ihrem Koffer bückte und ihn aufhob. "Nun, wenn deine Wohnung besser ist wie die Hotels dieser Stadt, dann solltest du dich darauf gefaßt machen, daß ich bestimmt nicht so schnell wieder verschwinde."` warnte sie ihn vor. Hach, mit Kenan unter einem Dach leben? Das konnte recht interessant werden. Sie könnte ja schon einmal insgeheim darauf wetten, wann sie sich an die Gurgel gingen. Denn das würde passieren. Sie waren sich zu ähnlich um auf Dauer unter einem Dach zu leben.

Ja, nett wie immer. Kenan war schon immer der warme freundliche Mann gewesen. Ach Quatsch, Kenan war fast wie sie. Aber nur fast. Sie war arrogant genug um zu behaupten, daß niemand wie sie war. Sie war einzigartig. Sie wandte sich nun gänzlich zu ihm um und stemmte die schmalen grazilen Hände in die Seite mit den rosefarben lackierten Fingernägeln. "Ach Cousin, niemand würde dir hinterher laufen. Also begrab den Wunsch mal lieber wieder. Und ich kann mir vorstellen, daß ein hübscher Mann wie du nie lange allein ist. Deine Sucht nach Frauen ist wohl allgemein gut bekannt." meinte sie spöttisch und verzog einen Mundwinkel. Ja, in der Verwandtschaft war man über den anderen stets gut informiert. Und so war auch ihre Vorliebe für das männliche Geschlecht wohl bekannt. Nie behielt sie einen Mann länger wie eine Woche. Denn schon spätestens nach zwei Tagen begann ein Mann sie zu langweilen. Ja, das konnte durchaus vorkommen. Und wäre Kenan nicht ihr Cousin würde es wohl genauso sein. Und so blieb sie ihm immernoch eine Antwort schuldig, gedachte sie nicht zu sagen, daß sie derzeit kein Ziel in ihrem Leben besaß. Sie hatte genügend Geld um sich ein schönes Leben zu machen. Sie brauchte nicht arbeiten, deshalb hatte sie ihren Job wohl aufgegeben. Er hatte sie ebenfalls gelangweilt.

Für einige Sekunden ließ sie die Worte an sich vorbeiziehen und reagierte gar nicht darauf. Dann richtete sich der Blick ihrer stahlgrauen Tiefen auf den Mann und nur ein Funke Überraschung sah man über ihre Züge huschen. "Was für eine überaus nette Begrüßung, Cousin. Und zu deiner Frage: Es geht dich überhaupt nichts an." meinte sie salopp und höchst arrogant, während ihr Blick abwertend ihn musterte und sie doch bemerken mußte, welch gutaussehender Mann er war. Aber Blutsverwandte waren nun einmal tabu und sie hatte die Verwandtschaft nie leiden können. An sich, man könnte es wohl so sagen, konnte sie niemanden leiden. Sie liebte nur ich selbst. Alle anderen standen noch tiefer als die Absätze ihrer weinroten Pumps hoch waren. Und dennoch, die Frage was er hier trieb huschte durch ihren Kopf. Aber gewiss würde sie diese bestimmt nicht laut aussprechen. Das würde ja bedeuten, daß sie Neugier kundtat an seiner Person. Nein, die würde sie nicht offenbaren.

Brummend und Abgase ausstoßend fuhr der Bus davon und ließ nur eine Handvoll Leute an der Haltestelle zurück, die sich schnell zerstreuten. Schnee knirschte unter den Schuhen der Leute, die davon und vorbei gingen und der schlanken Frau in dem teuren Kostüm nur einen neidischen Seitenblick zuwarfen. Mit hochgezogener Braue stand sie mit einem Koffer am Straßenrand und ließen den Blick arrogant über das nähere Umfeld wanderte. Herrje, in was für einem Kaff war sie denn gelandet? Sicher, sie könnte in den nächsten Bus steigen und weiterfahren. Doch wohin? Sie hatte kein bestimmtes Ziel. Daher faßte sie den Entschluß sich ein Zimmer in einem Hotel zu nehmen und ein paar Tage zu bleiben. Sie wandte sich um und bückte sich nach dem Koffer, der schwer und voll war und zu ihrem Leidwesen nur die nötigsten Dinge aufwies. Wäre sie mit vollem Gepäck unterwegs gewesen, dann hätte ein Koffer sicher nicht gereicht. So, wo fand man nun ein wirklich gutes Hotel in diesem Ort? Wahrscheinlich gab es nur irgendwelche billige Absteigen mit durchgelegenen Matratzen und muffig riechenden Männern an der Rezeption. So war das doch immer in diesen Motels in den USA. Gute Hotels gab es doch nur in den Großstädten, so wie das Hilton in New York.

Die straße ohne den Trubel der Feste